Eine Woche lang feierte der Weltladen Bad Nauheim mit einem bunten Programm sein 10-jähriges Bestehen.


„Warum nicht auch bei uns?“
Diese Frage war der Auftakt zur Gründung des Weltladens Bad Nauheim und des Vereins Bad
Nauheim – fair wandeln e.V., der die Trägerschaft übernommen hat. Seitdem ist viel geschehen: Bad
Nauheim ist inzwischen Fairtrade-Stadt, es gibt mit den Beruflichen Schulen am Gradierwerk eine
Fairtrade-Schule und die städtischen Kindergärten sind auf dem Weg, Fairtrade-Kindergärten zu
werden.
Der Weltladen ist inzwischen zu einem anerkannten und wichtigen Bestandteil der Bad Nauheimer
Einzelhandelsstruktur geworden. Das verdankt er zu einem großen Teil der engagierten Mitarbeit von
rund 30 ehrenamtlich Tätigen, aber auch einem zugeneigten Publikum, das gerne im Rahmen der
eigenen Möglichkeiten einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation der Menschen auf der
anderen Seite des Globus zu leisten bereit ist.
Ein Fest für alle.
Das Fest sollte daher auch unterschiedlichen Publikumswünschen und -bedürfnissen Rechnung
tragen und nicht nur „Insider“-Interessen berücksichtigen. Das Themenspektrum von Dienstag, dem
2. Mai bis Samstag, dem 6. Mai war entsprechend vielfältig.

 

Impressionen von unserer Feier zum 10-jährigen Bestehen des Weltladens Bad Nauheim am 6. Mai 2023:

Fotos: Borchers, Schmidt

Großer Stolz auf „unseren“ Weltladen: „Das bunte Geburtstagsfest“
am Samstag, dem 6. Mai, 11:00 bis 16:00 Uhr vor und im Weltladen:
Besser hätte der Auftakt zum großen Familienfest nicht sein können: eitler Sonnenschein, viele bunte
Luftballons und westafrikanische Trommelrhythmen von der hiesigen Gruppe Kwärschläscher.
Agnes Römer, Vorstandsvorsitzende des Vereins Bad Nauheim - fair wandeln e.V., konnte zahlreiche
Jubiläumsgäste begrüßen, darunter den Stadtverordnetenvorsteher Oliver von Massow, den
Bürgermeister der Stadt Klaus Kreß, sowie Meike Naumann, Pfarrerin der evangelischen
Kirchengemeinde Bad Nauheim und Mitglied der Steuerungsgruppe Bad Nauheim Fairtrade-Stadt.
„Wir sind vor 10 Jahren angetreten, um die Welt ein stückweit lebenswerter zu gestalten – mit Ihrer
aller Hilfe.“ „Die Qualität, für die der Weltladen steht, „bezieht sich nicht nur auf die hochwertigen
Produkte, sondern auch auf Fairness und Sozialverträglichkeit in ihrem Herstellungsprozess.“ Dieses
Ziel werde mit viel Idealismus seiner insgesamt 32 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
umgesetzt. „Rund ein Drittel von ihnen ist von Anfang an dabei.“ Daneben biete der Trägerverein Bad
Nauheim - fair wandeln ein breit gefächertes Bildungs- und Veranstaltungsprogramm. Von Anfang an
sei die Kooperation mit verschiedenen Netzwerken und Einrichtungen vor Ort sehr fruchtbar
gewesen. Agnes Römer dankte allen Unterstützern für ihren „unentbehrlichen“ Einsatz.
Meike Naumann erinnerte in ihren Glückwünschen im Namen des Vorstands der evangelischen
Kirchengemeinde an die Entstehungsgeschichte des Weltladens in Bad Nauheim. In den 90er Jahren
habe ein ökumenischer „Eine Welt-Kreis“ begonnen, einmal monatlich fair gehandelte Waren zu
verkaufen, um den Menschen zu helfen, die unter dem ungerechten Welthandel leiden. „Heute können wir mit Stolz sagen: In Bad Nauheim gibt es einen Weltladen!“
Oliver von Massow verwies darauf, wie notwendig es sei, die Bedeutung fairer, hochwertiger und
ressourcenschonend hergestellter Lebensmittel im Bewusstsein der Menschen zu verankern. „Das
Umdenken hat begonnen, braucht aber seine Zeit. Der Weltladen in Bad Nauheim ist für uns ein
positives Beispiel und ein wertvoller Begleiter.“
Bürgermeister Kreß erinnerte daran, dass Dumpingpreise hierzulande die Märkte im globalen Süden
zerstören. Um dem etwas entgegenzusetzen, habe sich der Verein Bad Nauheim - fair wandeln in die
demokratische Pflicht genommen „für unsere Region, für unsere Stadt und vor allem für die
Weltgemeinschaft.“ Die Stadt ziehe gerne mit an diesem Strang, etwa durch den regelmäßigen
Einkauf fair gehandelter Produkte. „Der Weltladen ist eine 10 Jahre alte Erfolgsstory. Er bereichert
unsere schöne Stadt und verbindet uns ein klein wenig mit der Welt.“
Beim anschließenden munteren Zusammensein versorgten die Ehrenamtlichen die Gäste mit
Getränken und selbst gebackenem Kuchen. Auch für sie ein besonderer Tag: Karina Uhrig etwa ist von
Anfang an dabei, und es macht ihr immer noch Spaß. „Für mich ist der Weltladen ein Stück Heimat
geworden“, sagt sie. „Besonders wegen der Kolleginnen und Kollegen, die ich hier immer wieder
treffe.“ Hilde Haas, auch Frau der ersten Stunde, ergänzt: „Ganz persönlich fühle ich mich hier sehr
wohl. Ich begegne hier vielen netten Menschen und mag das schöne Ambiente. Ich bin aber auch
gerne Teil dieses Projekts. Wir geben ein bisschen an andere Menschen zurück von dem, was wir im
Überfluss haben.“
So sieht das auch die Kundin Samira Kamili, die häufig im Weltladen einkauft. „Das ist auch ein kleiner
Beitrag dazu, dass Menschen, die Not und Hunger leiden, eine eigene Existenz aufbauen können.“
Tatjana Lanert, erst vor kurzem in die Stadt gezogen und zum ersten Mal im Weltladen, ist regelrecht
begeistert. „Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll“, sagt die junge Frau. „Das hätte ich nicht
erwartet.“ Und wegen all der Themen, die hier geboten werden, sei der Laden sicher ein zentraler
Punkt. „Den werde ich immer wieder ansteuern.“
Wie zum Beweis bot Beate Schalkowski vom Weltladen-Bildungsteam gerade den kleinen Gästen ein
Spielprogramm mit vielen Fairtrade-Motiven. Etliche Erwachsene ließen sich derweil von Doris
Buchenau, Vertreterin des Lieferanten Frida Feeling, die Herstellung von Filzprodukten aus Nepal und
Smateria-Taschen aus Kambodscha erklären.
Wo man auch hinschaute: ein harmonisches Zusammensein derer, die den Weltladen am Laufen
halten und der Stadtgesellschaft, die „ihren“ Weltladen schätzt.
Außerdem wurde zu Kaffee und Kuchen eingeladen.
Am Abend – nach dem „Rückbau“ des Ladens und seiner Umgebung in den Normalzustand gab es
zwar nach einer Woche voller Aktivitäten allenthalben müde Füße beim Ladenteam und große
Erschöpfung, aber auch Freude und Genugtuung über eine gelungene Festwoche, die man so schnell
nicht wieder vergessen wird.


Die Fairkostung am 5. Mai 2023:

Fotos: Kunert, Joachim, Schmidt

Zugreifen lohnt sich.
Faire Leckereien, zubereitet von Schülerinnen und Schülern der BSG gab es am Freitag, 5. Mai
während lebhaften Marktgeschehens am Aliceplatz:
Von herzhaft bis süß mit vielen fairen Zutaten zauberten Drosia Tanriverdi und Katharina Juliane
Humann-Benedix von den Beruflichen Schulen am Gradierwerk - Kooperationspartner des
Weltladens - mit ihren Schülerinnen und Schülern eine Reihe von Leckereien. Diese boten sie mit
dem Weltladen Bad Nauheim anlässlich seines 10. Geburtstags am Aliceplatz in Bad Nauheim an.
Mini-Pizza, Dattel-Frischkäse-Torteletts, Mokka-Rumkugeln, Oliven im Teigmantel und vieles mehr,
die Passanten griffen eifrig zu. Allen schmeckte es sehr gut, und dazu wurden noch interessante
Gespräche über die Rezepte und den fairen Handel geführt. Eine Aktion mit hohem
Wiederholungspotenzial!


Der Poetry-Slam-Abend am 4. Mai 2023:

Fotos: Kunert

Poesie macht Mut – Kleinkunst im Weltladen
Spritzig-scharfe Kost, leicht verdaulich und höchst vergnüglich bot die Veranstaltung „Fair-
Geslammtes aus dem Weltladen“ am 4. Mai in den Räumen des Weltladens. Bad Nauheim. Gerd
Joachim, stellv. Vorsitzender des Vereins Bad Nauheim - fair wandeln, führte locker durch den Abend
mit Svenja Preuster, auf Instagram auch als „Fräulein Öko“ bekannt; Thorsten Zeller, Papa, Poet und
Praktiker in Sachen Klimaschutz und Dominik Rinkart, seit 12 Jahren Poetry-Slam-Künstler. Das bunt
gemischte Publikum genoss die Darbietungen bei Verkostung von fair gehandeltem Wein und
Schokolade.
Gemeinsam ist dem Trio der „Drang, (für die Umwelt) etwas zu tun, vom Reden ins Handeln zu
kommen“, wie es Svenja Preuster ausdrückte. Sie freut sich darüber, dass mittlerweile 2,5 Mio
Menschen weltweit vom fairen Handel profitieren, sieht ihn aber noch weit von seinem Ziel entfernt.
Vielmehr legten die großen Konzerne dem fairen Handel Steine in den Weg, etwa durch
Greenwashing. „Dabei wird eine einzelne Eigenschaft beworben und die Umweltschädlichkeit
insgesamt verschwiegen“, erklärte sie.
Auf andere Art möchte auch Thorsten Zeller umweltschädliches Verhalten entlarven und die
Menschen zu nachhaltigem Handeln bringen. Wenn er seine pointierte und rhythmisch rasante
Wortakrobatik startet, sind ihm Aufmerksamkeit und Erkenntnislacher gewiss. „Hier stehe ich – am
Bahnsteig. Zwischen krassen Massen Schülerklassen, die es so wie ich nicht fassen, dass die Mülleimer die Becher-Massen fassen, die wir täglich darin fallen lassen. (Meinem Sohn) möchte ich
zeigen, dass wir anders können, nicht alles vergeigen und uns trotzdem was gönnen.“
Neben Witz und Parodie - Melancholie auch bei Dominik Rinkart. Er erzählte von der Traurigkeit in
der jüngeren Generation: „Bei `Fridays for Future` wird manchmal auch ordentlich geheult. Zum
Beispiel, wenn jemand fragt, ob es eine gute Idee ist, Kinder in die Welt zu setzen.“ Eindrucksvoll
zeigte er das in seinem Stück „Kongress der Zeitreisenden“, das das Publikum mit seinem
überbordenden Einfallsreichtum und seinen kenntnisreichen ironischen Anspielungen begeisterte.
Hier kommen große Dichter und Denker quer durch die Zeitgeschichte auf einem fiktiven Kongress im
Jahr 2087 zu dem Schluss: „Wir mussten lernen, dass die Welt groß genug ist, um alles zu erreichen,
aber viel zu groß, um alles zu verstehen. Dass die Menschen schlau genug sind, um alles zu
erschaffen, aber viel zu dumm, irgendetwas zu erhalten.“
Darbietungen allesamt, die in ihrer Komik manchmal weh tun, aber mit ihrem Engagement auch Mut
machen. Gerd Joachim drückte es so aus: „Sie passen von A-Z in den Rahmen des Weltladens und
haben uns ein Stück weitergebracht.“
Es schloss sich ein reger Dialog zwischen den Slammern und dem Publikum an.


Podiumsdiskussion am 3. Mai 2023:

Foto: Weltladenteam Bad Nauheim

„Wie fair handeln Stadt und Kreis?“
Am Mittwoch, dem 3. Mai diskutierten der Bad Nauheimer Bürgermeister Klaus Kreß und der
Fachbereichsleiter Regionalentwicklung und Umwelt des Wetteraukreises Christian Sperling sowie
Iris Degen, Projektmanagerin und Beraterin für Kommunen und Landkreise in Fragen der fairen
Beschaffung darüber, wie Kommunen den fairen Handel fördern können.
Als Beschafferinnen der öffentlichen Hand komme Kommunen eine enorme Kauf- und Marktmacht zu, so Iris Degen in ihrem Impulsvortrag. Sie wies darauf hin, dass die öffentliche Hand in Deutschland
jährlich für über 350 Milliarden Euro einkaufe – etwa 60% davon entfielen auf die kommunale
Beschaffung. Diese habe damit insgesamt gesehen eine große Marktmacht. Doch bisher wird nur ein
Bruchteil der kommunalen Beschaffungsausgaben für faire und nachhaltig hergestellte Produkte wie
u. a. elektronische Geräte, Büromöbel, Arbeitskleidung, Lebensmittel und weitere Produkte
eingesetzt. Dabei könnten Landkreise, Städte und Gemeinden durch die Berücksichtigung sozial gerechter Kriterien in Vergabeprozessen einen wertvollen Beitrag zur Einhaltung sozialer Mindeststandards in globalen Lieferketten leisten.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion wurde der Status quo der Beschaffungspraxis beim
Wetteraukreis und bei der Stadt Bad Nauheim kritisch hinterfragt: Christian Sperling,
Fachbereichsleiter Regionalentwicklung und Umwelt des Wetteraukreises, betonte, dass es zwar den
politischen Wunsch sowie die Vorgabe nachhaltiger Beschaffung beim Landkreis gebe, dieser aber
dennoch erst am Anfang stehe.
Bad Nauheims Bürgermeister Klaus Kreß konnte hingegen für die seit 2014 zertifizierte Fairtrade-
Stadt auf einige Erfolge in der fairen Beschaffungspraxis der 34000 Einwohner zählenden Kommune
verweisen: Neben Schulungen zu fairer Beschaffung und Handlungsrichtlinien in der Verwaltung hat
die Stadtverwaltung die komplette Druckerlandschaft auf nachhaltige Geräte umgestellt. Dies sei
durch die Größe des Einkaufsvolumens nicht teurer gewesen als eine Beschaffung nicht zertifizierter
Hardware, betonte der Rathauschef.
Im Kita-Bereich nannte Kreß die reduzierte Gestaltung des Außenbereichs der Waldorf-Kita mit
Erdrutsche und Klettergeräten aus altem Bauholz als gelungenes Beispiel für Nachhaltigkeit. Eine
Gesundheitsstadt wie Bad Nauheim müsse ihre natürlichen Ressourcen erhalten. Dazu trage die
Umstellung auf nur noch elektrisch betriebene Stadtbusse ab 2024 ebenso bei wie das Image als
Fairtrade-Stadt mit weit über 60 Betrieben, die fair gehandelte Produkte anbieten, so der
Bürgermeister. Er sieht die Rolle der Stadt auch als Moderatorin, um Unternehmen für einen
nachhaltigen Beschaffungsprozess zusammenzubringen. Dazu gehöre aber auch, die
Bildungsangebote des Weltladens wie u.a. die beiden Führungen „Fairer Stadtrundgang“ und
„Klimafreundlicher Stadtrundgang“ zu unterstützen, mahnte an dieser Stelle eine Stimme aus dem
Publikum.
Nach einer lebhaften Schlussdiskussion waren sich alle Beteiligten einig, dass der Abend wichtige
Impulse für die Weiterentwicklung des Fairtrade-Gedankens in Kreis und Kommune geben konnte.


Vortrag zum Thema Klimagerechtigkeit am 2. Mai 2023:

Dr. Kira Vinke

„Klimagerechtigkeit im Spannungsfeld globaler Herausforderungen“
war das Thema der Wissenschaftlerin, Buchautorin und Leiterin des Zentrums für Klima und
Außenpolitik der Gesellschaft für auswärtige Politik (GAP), Dr. Kira Vinke. Anhand von Daten des
Weltklimarats IPCC erklärte Dr. Vinke, welche Folgen die Erderwärmung auf derzeit 1,2 Grad im
Vergleich zur vorindustriellen Zeitperiode weltweit bereits hat und welche sie haben wird, je
nachdem, wieviel CO 2 wir weiterhin ausstoßen. „Der Klimawandel mit seinen gravierenden Folgen
ist mittlerweile überall auf der Welt messbar angekommen“; konstatierte sie. Ereignisse vor der
Haustür wie die Ahrtalüberflutung, Temperaturrekorde, Waldbrände und mehr als 19 000
hitzebedingt Tote in den Jahren 2018 bis 2020 sind erschreckend. Ungleich schwerer aber wiegen die
Folgen in einigen Regionen des globalen Südens, wo allein im Jahr 2020 insgesamt 30,7 Mio
Menschen auch infolge von wiederkehrenden Überflutungen, Wirbelstürmen oder Dürreperioden
ihre Heimat verloren und meistens in ihren Staatsgrenzen zu „Sturmnomaden“ wurden, so der Titel
eines von ihr verfassten Buches zum Thema Klimamigration.
In der anschließenden lebhaften Podiumsdiskussion warb Peter Heidt, Bundestagsabgeordneter der
FDP für „marktwirtschaftliche und technologiefreundliche Elemente“ wie etwa die Nutzung von E-
fuels.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Natalie Pawlik plädierte dagegen für mehr finanzielle Unterstützung
der Menschen, die nachhaltig handeln wollen. „In Deutschland gibt es Potenzial, das wir anzapfen
können. Es reicht nicht aus, wenn jeder ein bisschen klimaschonender konsumiert“, so Pawlik. „Wir
brauchen Regeln und Gesetze für das Große und Ganze.“
Alles in allem eine für alle Anwesenden informative und aufrüttelnde Veranstaltung - keine Gute
Nacht-Lektüre, eher ein Weckruf.

Texte: Weltladenteam Bad Nauheim