„Warum nicht auch bei
uns?“
Diese Frage war der Auftakt zur Gründung des
Weltladens Bad Nauheim und des Vereins Bad
Nauheim – fair wandeln e.V., der die Trägerschaft
übernommen hat. Seitdem ist viel geschehen: Bad
Nauheim ist inzwischen Fairtrade-Stadt, es gibt
mit den Beruflichen Schulen am Gradierwerk eine
Fairtrade-Schule und die städtischen
Kindergärten sind auf dem Weg, Fairtrade-Kindergärten zu
werden.
Der Weltladen ist inzwischen zu einem
anerkannten und wichtigen Bestandteil der Bad Nauheimer
Einzelhandelsstruktur geworden. Das verdankt er
zu einem großen Teil der engagierten Mitarbeit von
rund 30 ehrenamtlich Tätigen, aber auch einem
zugeneigten Publikum, das gerne im Rahmen der
eigenen Möglichkeiten einen Beitrag zur
Verbesserung der Lebenssituation der Menschen auf der
anderen Seite des Globus zu leisten bereit
ist.
Ein Fest für
alle.
Das Fest sollte daher auch unterschiedlichen
Publikumswünschen und -bedürfnissen Rechnung
tragen und nicht nur „Insider“-Interessen
berücksichtigen. Das Themenspektrum von Dienstag, dem
2. Mai bis Samstag, dem 6. Mai war entsprechend
vielfältig.
Fotos: Borchers, Schmidt
Großer Stolz auf „unseren“
Weltladen: „Das bunte Geburtstagsfest“
am Samstag, dem 6. Mai, 11:00 bis 16:00 Uhr vor
und im Weltladen:
Besser hätte der Auftakt zum großen Familienfest
nicht sein können: eitler Sonnenschein, viele bunte
Luftballons und westafrikanische Trommelrhythmen
von der hiesigen Gruppe Kwärschläscher.
Agnes Römer, Vorstandsvorsitzende des Vereins
Bad Nauheim - fair wandeln e.V., konnte zahlreiche
Jubiläumsgäste begrüßen, darunter den
Stadtverordnetenvorsteher Oliver von Massow, den
Bürgermeister der Stadt Klaus Kreß, sowie Meike
Naumann, Pfarrerin der evangelischen
Kirchengemeinde Bad Nauheim und Mitglied der
Steuerungsgruppe Bad Nauheim Fairtrade-Stadt.
„Wir sind vor 10 Jahren angetreten, um die Welt
ein stückweit lebenswerter zu gestalten – mit Ihrer
aller Hilfe.“ „Die Qualität, für die der
Weltladen steht, „bezieht sich nicht nur auf die hochwertigen
Produkte, sondern auch auf Fairness und
Sozialverträglichkeit in ihrem Herstellungsprozess.“ Dieses
Ziel werde mit viel Idealismus seiner insgesamt
32 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
umgesetzt. „Rund ein Drittel von ihnen ist von
Anfang an dabei.“ Daneben biete der Trägerverein Bad
Nauheim - fair wandeln ein breit gefächertes
Bildungs- und Veranstaltungsprogramm. Von Anfang an
sei die Kooperation mit verschiedenen Netzwerken
und Einrichtungen vor Ort sehr fruchtbar
gewesen. Agnes Römer dankte allen Unterstützern
für ihren „unentbehrlichen“ Einsatz.
Meike Naumann erinnerte in ihren Glückwünschen im
Namen des Vorstands der evangelischen
Kirchengemeinde an die Entstehungsgeschichte des
Weltladens in Bad Nauheim. In den 90er Jahren
habe ein ökumenischer „Eine Welt-Kreis“
begonnen, einmal monatlich fair gehandelte Waren zu
verkaufen, um den Menschen zu helfen, die unter
dem ungerechten Welthandel leiden. „Heute können wir mit Stolz sagen: In Bad Nauheim gibt es einen Weltladen!“
Oliver von Massow verwies darauf, wie notwendig
es sei, die Bedeutung fairer, hochwertiger und
ressourcenschonend hergestellter Lebensmittel im
Bewusstsein der Menschen zu verankern. „Das
Umdenken hat begonnen, braucht aber seine Zeit.
Der Weltladen in Bad Nauheim ist für uns ein
positives Beispiel und ein wertvoller
Begleiter.“
Bürgermeister Kreß erinnerte daran, dass
Dumpingpreise hierzulande die Märkte im globalen Süden
zerstören. Um dem etwas entgegenzusetzen, habe
sich der Verein Bad Nauheim - fair wandeln in die
demokratische Pflicht genommen „für unsere
Region, für unsere Stadt und vor allem für die
Weltgemeinschaft.“ Die Stadt ziehe gerne mit an
diesem Strang, etwa durch den regelmäßigen
Einkauf fair gehandelter Produkte. „Der
Weltladen ist eine 10 Jahre alte Erfolgsstory. Er bereichert
unsere schöne Stadt und verbindet uns ein klein
wenig mit der Welt.“
Beim anschließenden munteren Zusammensein
versorgten die Ehrenamtlichen die Gäste mit
Getränken und selbst gebackenem Kuchen. Auch für
sie ein besonderer Tag: Karina Uhrig etwa ist von
Anfang an dabei, und es macht ihr immer noch
Spaß. „Für mich ist der Weltladen ein Stück Heimat
geworden“, sagt sie. „Besonders wegen der
Kolleginnen und Kollegen, die ich hier immer wieder
treffe.“ Hilde Haas, auch Frau der ersten
Stunde, ergänzt: „Ganz persönlich fühle ich mich hier sehr
wohl. Ich begegne hier vielen netten Menschen
und mag das schöne Ambiente. Ich bin aber auch
gerne Teil dieses Projekts. Wir geben ein
bisschen an andere Menschen zurück von dem, was wir im
Überfluss haben.“
So sieht das auch die Kundin Samira Kamili, die
häufig im Weltladen einkauft. „Das ist auch ein kleiner
Beitrag dazu, dass Menschen, die Not und Hunger
leiden, eine eigene Existenz aufbauen können.“
Tatjana Lanert, erst vor kurzem in die Stadt
gezogen und zum ersten Mal im Weltladen, ist regelrecht
begeistert. „Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst
hinschauen soll“, sagt die junge Frau. „Das hätte ich nicht
erwartet.“ Und wegen all der Themen, die hier
geboten werden, sei der Laden sicher ein zentraler
Punkt. „Den werde ich immer wieder
ansteuern.“
Wie zum Beweis bot Beate Schalkowski vom
Weltladen-Bildungsteam gerade den kleinen Gästen ein
Spielprogramm mit vielen Fairtrade-Motiven.
Etliche Erwachsene ließen sich derweil von Doris
Buchenau, Vertreterin des Lieferanten Frida
Feeling, die Herstellung von Filzprodukten aus Nepal und
Smateria-Taschen aus Kambodscha
erklären.
Wo man auch hinschaute: ein harmonisches
Zusammensein derer, die den Weltladen am Laufen
halten und der Stadtgesellschaft, die „ihren“
Weltladen schätzt.
Außerdem wurde zu Kaffee und Kuchen
eingeladen.
Am Abend – nach dem „Rückbau“ des Ladens und
seiner Umgebung in den Normalzustand gab es
zwar nach einer Woche voller Aktivitäten
allenthalben müde Füße beim Ladenteam und große
Erschöpfung, aber auch Freude und Genugtuung
über eine gelungene Festwoche, die man so schnell
nicht wieder vergessen wird.
Fotos: Kunert, Joachim, Schmidt
Zugreifen lohnt
sich.
Faire Leckereien, zubereitet von Schülerinnen
und Schülern der BSG gab es am Freitag, 5. Mai
während lebhaften Marktgeschehens am
Aliceplatz:
Von herzhaft bis süß mit vielen fairen Zutaten
zauberten Drosia Tanriverdi und Katharina Juliane
Humann-Benedix von den Beruflichen Schulen am
Gradierwerk - Kooperationspartner des
Weltladens - mit ihren Schülerinnen und Schülern
eine Reihe von Leckereien. Diese boten sie mit
dem Weltladen Bad Nauheim anlässlich seines 10.
Geburtstags am Aliceplatz in Bad Nauheim an.
Mini-Pizza, Dattel-Frischkäse-Torteletts,
Mokka-Rumkugeln, Oliven im Teigmantel und vieles mehr,
die Passanten griffen eifrig zu. Allen schmeckte
es sehr gut, und dazu wurden noch interessante
Gespräche über die Rezepte und den fairen Handel
geführt. Eine Aktion mit hohem
Wiederholungspotenzial!
Fotos: Kunert
Poesie macht Mut –
Kleinkunst im Weltladen
Spritzig-scharfe Kost, leicht verdaulich und
höchst vergnüglich bot die Veranstaltung „Fair-
Geslammtes aus dem Weltladen“ am 4. Mai in den
Räumen des Weltladens. Bad Nauheim. Gerd
Joachim, stellv. Vorsitzender des Vereins Bad
Nauheim - fair wandeln, führte locker durch den Abend
mit Svenja Preuster, auf Instagram auch als
„Fräulein Öko“ bekannt; Thorsten Zeller, Papa, Poet und
Praktiker in Sachen Klimaschutz und Dominik
Rinkart, seit 12 Jahren Poetry-Slam-Künstler. Das bunt
gemischte Publikum genoss die Darbietungen bei
Verkostung von fair gehandeltem Wein und
Schokolade.
Gemeinsam ist dem Trio der „Drang, (für die
Umwelt) etwas zu tun, vom Reden ins Handeln zu
kommen“, wie es Svenja Preuster ausdrückte. Sie
freut sich darüber, dass mittlerweile 2,5 Mio
Menschen weltweit vom fairen Handel profitieren,
sieht ihn aber noch weit von seinem Ziel entfernt.
Vielmehr legten die großen Konzerne dem fairen
Handel Steine in den Weg, etwa durch
Greenwashing. „Dabei wird eine einzelne
Eigenschaft beworben und die Umweltschädlichkeit
insgesamt verschwiegen“, erklärte
sie.
Auf andere Art möchte auch Thorsten Zeller
umweltschädliches Verhalten entlarven und die
Menschen zu nachhaltigem Handeln bringen. Wenn
er seine pointierte und rhythmisch rasante
Wortakrobatik startet, sind ihm Aufmerksamkeit
und Erkenntnislacher gewiss. „Hier stehe ich – am
Bahnsteig. Zwischen krassen Massen
Schülerklassen, die es so wie ich nicht fassen, dass die Mülleimer die Becher-Massen fassen, die wir täglich darin fallen lassen. (Meinem Sohn) möchte ich
zeigen, dass wir anders können, nicht alles
vergeigen und uns trotzdem was gönnen.“
Neben Witz und Parodie - Melancholie auch bei
Dominik Rinkart. Er erzählte von der Traurigkeit in
der jüngeren Generation: „Bei `Fridays for
Future` wird manchmal auch ordentlich geheult. Zum
Beispiel, wenn jemand fragt, ob es eine gute
Idee ist, Kinder in die Welt zu setzen.“ Eindrucksvoll
zeigte er das in seinem Stück „Kongress der
Zeitreisenden“, das das Publikum mit seinem
überbordenden Einfallsreichtum und seinen
kenntnisreichen ironischen Anspielungen begeisterte.
Hier kommen große Dichter und Denker quer durch
die Zeitgeschichte auf einem fiktiven Kongress im
Jahr 2087 zu dem Schluss: „Wir mussten lernen,
dass die Welt groß genug ist, um alles zu erreichen,
aber viel zu groß, um alles zu verstehen. Dass
die Menschen schlau genug sind, um alles zu
erschaffen, aber viel zu dumm, irgendetwas zu
erhalten.“
Darbietungen allesamt, die in ihrer Komik
manchmal weh tun, aber mit ihrem Engagement auch Mut
machen. Gerd Joachim drückte es so aus: „Sie
passen von A-Z in den Rahmen des Weltladens und
haben uns ein Stück weitergebracht.“
Es schloss sich ein reger Dialog zwischen den
Slammern und dem Publikum an.
Foto: Weltladenteam Bad Nauheim
„Wie fair handeln Stadt und
Kreis?“
Am Mittwoch, dem 3. Mai
diskutierten der Bad Nauheimer Bürgermeister Klaus Kreß und der
Fachbereichsleiter
Regionalentwicklung und Umwelt des Wetteraukreises Christian Sperling sowie
Iris Degen, Projektmanagerin und Beraterin für
Kommunen und Landkreise in Fragen der fairen
Beschaffung darüber, wie Kommunen den fairen
Handel fördern können.
Als Beschafferinnen der öffentlichen Hand komme
Kommunen eine enorme Kauf- und Marktmacht zu, so Iris Degen in ihrem Impulsvortrag. Sie wies darauf hin, dass die öffentliche Hand in Deutschland
jährlich für über 350 Milliarden Euro einkaufe –
etwa 60% davon entfielen auf die kommunale
Beschaffung. Diese habe damit
insgesamt gesehen eine große Marktmacht. Doch bisher wird
nur ein
Bruchteil der kommunalen Beschaffungsausgaben
für faire und nachhaltig hergestellte Produkte wie
u. a. elektronische Geräte, Büromöbel,
Arbeitskleidung, Lebensmittel und weitere Produkte
eingesetzt. Dabei könnten Landkreise, Städte und
Gemeinden durch die Berücksichtigung sozial gerechter Kriterien in Vergabeprozessen einen wertvollen Beitrag zur Einhaltung sozialer Mindeststandards in globalen Lieferketten leisten.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion wurde
der Status quo der Beschaffungspraxis beim
Wetteraukreis und bei der Stadt Bad Nauheim
kritisch hinterfragt: Christian Sperling,
Fachbereichsleiter Regionalentwicklung und
Umwelt des Wetteraukreises, betonte, dass es zwar den
politischen Wunsch sowie die Vorgabe
nachhaltiger Beschaffung beim Landkreis gebe, dieser aber
dennoch erst am Anfang stehe.
Bad Nauheims Bürgermeister Klaus Kreß konnte
hingegen für die seit 2014 zertifizierte Fairtrade-
Stadt auf einige Erfolge in der fairen
Beschaffungspraxis der 34000 Einwohner zählenden Kommune
verweisen: Neben Schulungen zu fairer
Beschaffung und Handlungsrichtlinien in der Verwaltung hat
die Stadtverwaltung die komplette
Druckerlandschaft auf nachhaltige Geräte umgestellt. Dies sei
durch die Größe des Einkaufsvolumens nicht teurer
gewesen als eine Beschaffung nicht zertifizierter
Hardware, betonte der Rathauschef.
Im Kita-Bereich nannte Kreß die reduzierte
Gestaltung des Außenbereichs der Waldorf-Kita mit
Erdrutsche und Klettergeräten aus altem Bauholz
als gelungenes Beispiel für Nachhaltigkeit. Eine
Gesundheitsstadt wie Bad Nauheim müsse ihre
natürlichen Ressourcen erhalten. Dazu trage die
Umstellung auf nur noch elektrisch betriebene
Stadtbusse ab 2024 ebenso bei wie das Image als
Fairtrade-Stadt mit weit über 60 Betrieben, die
fair gehandelte Produkte anbieten, so der
Bürgermeister. Er sieht die Rolle der Stadt auch
als Moderatorin, um Unternehmen für einen
nachhaltigen Beschaffungsprozess
zusammenzubringen. Dazu gehöre aber auch, die
Bildungsangebote des Weltladens wie u.a. die
beiden Führungen „Fairer Stadtrundgang“ und
„Klimafreundlicher Stadtrundgang“ zu
unterstützen, mahnte an dieser Stelle eine Stimme aus dem
Publikum.
Nach einer lebhaften Schlussdiskussion waren
sich alle Beteiligten einig, dass der Abend wichtige
Impulse für die Weiterentwicklung des
Fairtrade-Gedankens in Kreis und Kommune geben konnte.
Dr. Kira Vinke
„Klimagerechtigkeit im
Spannungsfeld globaler Herausforderungen“
war das Thema der Wissenschaftlerin, Buchautorin
und Leiterin des Zentrums für Klima und
Außenpolitik der Gesellschaft für auswärtige
Politik (GAP), Dr. Kira Vinke. Anhand von Daten des
Weltklimarats IPCC erklärte Dr. Vinke, welche
Folgen die Erderwärmung auf derzeit 1,2 Grad im
Vergleich zur vorindustriellen Zeitperiode
weltweit bereits hat und welche sie haben wird, je
nachdem, wieviel
CO 2 wir weiterhin ausstoßen. „Der Klimawandel mit seinen gravierenden
Folgen
ist mittlerweile überall auf der Welt messbar
angekommen“; konstatierte sie. Ereignisse vor der
Haustür wie die Ahrtalüberflutung,
Temperaturrekorde, Waldbrände und mehr als 19 000
hitzebedingt Tote in den Jahren 2018 bis 2020
sind erschreckend. Ungleich schwerer aber wiegen die
Folgen in einigen Regionen des globalen Südens,
wo allein im Jahr 2020 insgesamt 30,7 Mio
Menschen auch infolge von wiederkehrenden
Überflutungen, Wirbelstürmen oder Dürreperioden
ihre Heimat verloren und meistens in ihren
Staatsgrenzen zu „Sturmnomaden“ wurden, so der Titel
eines von ihr verfassten Buches zum Thema
Klimamigration.
In der anschließenden lebhaften Podiumsdiskussion
warb Peter Heidt, Bundestagsabgeordneter der
FDP für „marktwirtschaftliche und
technologiefreundliche Elemente“ wie etwa die Nutzung von E-
fuels.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Natalie Pawlik
plädierte dagegen für mehr finanzielle Unterstützung
der Menschen, die nachhaltig handeln wollen. „In
Deutschland gibt es Potenzial, das wir anzapfen
können. Es reicht nicht aus, wenn jeder ein
bisschen klimaschonender konsumiert“, so Pawlik. „Wir
brauchen Regeln und Gesetze für das Große und
Ganze.“
Alles in allem eine für alle Anwesenden
informative und aufrüttelnde Veranstaltung - keine Gute
Nacht-Lektüre, eher ein Weckruf.
Texte: Weltladenteam Bad Nauheim